Bekanntester Deutscher in Indien, Friedrich Max Müller, wird 200 Jahre alt.

Bild: Alexander Bassano, Public domain, via Wikimedia Commons

Während Friedrich Max Müller, ein bekannter Indologe und Religionswissenschaftler in
seiner Heimatstadt Dessau nahezu unbekannt ist, zählen sich in Indien seine Kenner und
vielleicht auch Verehrer nach Hunderten von Millionen. Praktisch jeder gebildete Inder kennt
zumindest den Namen und weiß, dass es sich um einen berühmten deutschen Indologen
handelt. Vielen von ihnen ist jedoch nicht bewusst, dass der Gelehrte, dessen Namen in Indien
die Goethe-Institute tragen, ihr Land nie gesehen hat. Max Müller hat sich zeitlebens
geweigert, das Indien zu bereisen. Wenn ihn jemand an der Universität Oxford, wo er lehrte,
darauf ansprach, pflegte er auf seinen Schreibtisch zu zeigen und zu sagen: „Mein Benares ist
hier“.


Leistungen: Herausgabe von Texten,

die zum Kern der indischen Traditionen gehören


Das Werk, das den deutsch/britischen Gelehrten vor allem in Indien berühmt machte, war die
Herausgabe des ältesten religiösen Textes der Inder, des Rigveda, der im zweiten Jahrtausend
v.u.Z. entstanden ist. Der Text wird bis heute mündlich weitergegeben und über viele
Jahrhunderte galt seine Niederschrift als Sakrileg. Müller gibt den alten Text zusammen mit
dem berühmten Sanskrit-Kommentar des Sayana (14. Jahrhundert u.Z.) in sechs Bänden
heraus. Dass ein Oxford-Gelehrter sich ausführlich mit der indischen Kultur und Religion
beschäftigt, hatte zur Folge, dass die Inder neues Vertrauen in die eigene Kulturgeschichte
fassten.


Einen großen Einfluss auf den neueren Hinduismus hatte auch eine Vortragsreihe, die Müller
in den 70er und 80er Jahren an der Universität Cambridge hielt, die 1884 ins Deutsche
übersetzt unter dem Titel „Indien, in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung“ (Original: „India,
what can it teach us?“ erstmals London 1883) erschienen. Die Vorlesungen geben den Indern
das Vertrauen in ihre eigene Kultur zurück, das durch die britische Fremdherrschaft stark
erschüttert war. Wichtige Vertreter des Neohinduismus wie Aurobindo oder Vivekananda
kennen die Texte und er bestärkt sie in ihrer Auffassung, dass die indische Kultur wichtige
spirituelle und ethische Botschaften für die Welt bereithält.


In der westlichen Welt ist Max Müller vor allem durch die Herausgabe einer Serie von 50
Bänden unter dem Titel „The Sacred Books of the East“ (Die heiligen Bücher des Ostens)
bekannt geworden. Er schafft es für diese Serie die namhaftesten Orient-Wissenschaftler
seiner Zeit zu gewinnen. Das Erscheinen der wichtigsten religiösen Werke aus Hinduismus,
Buddhismus, Konfuzianismus, Jinismus, Zoroastrismus, Taoismus und Islam in englischer
Übersetzung hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf die westliche Geisteskultur. Es wurde
immer mehr Standard, in wissenschaftlichen und populären Arbeiten die Ideen der östlichen
Kulturen zu berücksichtigen. Kein Geisteswissenschaftler konnte sich nunmehr damit
herausreden, dass er diese Texte nicht kenne, weil sie schwer zugänglich sind.

Max Müller(ed.) - Sacred Books of the East


Leben: ein Dessauer wird Oxford-Professor

Friedrich Max Müller wurde am 6. Dezember 1823 in Dessau geboren. Sein Vater, Wilhelm
Müller, der in Dessau als Dichter deutlich bekannter ist („Das Wandern ist des Müllers
Lust“), starb, als Max drei Jahre alt war. Müller wuchs, da nun das Einkommen seines Vaters
als Herzoglicher Bibliothekar nun fehlte, in ärmlichen Verhältnissen auf. Er erinnert sich, dass
er, als im Winter das Heizmaterial fehlte, frühmorgens in einer eisüberzogenen Bettdecke, auf
der der Atem gefroren war, erwachte und die Fenster seines Schlafzimmers vollständig
zugefroren waren. Das Gefühl der Kälte hat ihn auch im winterlichen Kirchenalltag begleitet
und mag ein Ausgangspunkt für seinen späteren Hang zu Religionsvergleichen gewesen sein.
Er schreibt über diese Zeit in seiner Autobiografie: „Oh, welches Elend erfährt die Kindheit
durch diese erzwungene Teilnahme am Gottesdienst. Wenn eine Kirche geheizt werden kann,
ist das Leiden weniger schlimm. Aber eine riesige geweißte Kirche, die sich wie ein Eiskeller
anfühlt, ist die schlimmste Folter, die der menschliche Geist erfinden konnte, um die Kinder
dazu zu bringen, den Namen der Kirche zu hassen. Diese frühen Eindrücke bleiben häufig für
das ganze Leben…“ Max Müller blieb zwar Lutheraner, hat sich jedoch mit einer recht freien
Auslegung des Wesens des Christentums, vor allem an der Universität Oxford, zahlreiche
Feinde geschaffen. Seine Heimatstadt Dessau behält er gleichwohl in positiver Erinnerung:
eine Gartenstadt, die, was das Grün betrifft, in England ihresgleichen sucht, die über einen
etwas engen Horizont verfügt, dafür aber sehr quirlig und geschäftig ist. Seinen dessauer/leipziger Dialekt hat er nie verloren. Obwohl er über viele Jahre ausschließlich Französisch
und Englisch gesprochen hat, sei dieser, so seine Freunde, bis zu seinem Lebensende immer
noch deutlich hörbar geblieben.
Im Alter von 12 Jahren wechselt Müller an die Nikolaischule in Leipzig, wo er sich
ausführlich mit griechischem und lateinischen Schrifttum beschäftigt. In seinem
darauffolgenden zweieinhalbjährigen Studium an der Leipziger Universität absolviert er ein
beachtliches Programm: Er studiert Philosophie, klassische Sprachen und „nebenbei“ auch
Arabisch und Sanskrit. Neunzehnjährig promoviert er in der Philosophie mit einer Arbeit über
Spinoza. Kurz darauf, 1844, veröffentlicht er eine Übersetzung der berühmten indischen
Fabelsammlung Hitopadesha aus dem Sanskrit. Als er 1844/45 für ein Semester nach Berlin
geht, erweist sich diese Zeit für ihn gleichermaßen als überaus produktiv. Die Liste seiner
Lehrer dort liest sich wie das Who is Who der damaligen Geisteswissenschaft. Er studiert
weiter Philosophie bei Friedrich Schelling, erlernt das Persische bei dem Dichter und
Orientalisten Friedrich Rückert und vervollständigt seine Sanskrit-Kenntnisse bei dem
Sprachwissenschaftler Franz Bopp. Schelling veranlasst ihn, einige Upanishaden, die zu den
altindischen Texten des Veda gehören und durch Schopenhauer populär geworden waren, neu
zu übersetzen.
Doch Max Müller hält es nicht lange in Berlin, er möchte seine Studien der altindischen
Sprachen und Literaturen bei Eugène Burnouf in Paris fortsetzen. Und Burnouf ist es, der ihn
zu dem Studium desjenigen Werkes veranlasst, das ihn in Indien berühmt machen sollte: der
älteste Teil des Veda, der Rigveda. Nach einem Jahr besucht Müller die englische
Universitätsstadt Oxford. Aus dem ursprünglichen auf drei Wochen geplanten Besuch wird
ein Aufenthalt für den Rest seines Lebens. Er beginnt in Oxford mit dem Projekt der
Herausgabe des Rigveda. Mit nur 27 Jahren kann er bereits den ersten des auf sechs Bände
angelegten Werkes vorlegen. Durch die Herausgabe des gesamten Werkes in den folgenden
Jahren übergibt er somit den Indern Texte, in denen ihre Tradition wurzelt und die dort heute
noch als heilig gelten, erstmals in Buchform.
In Oxford erregt Müller in verschiedener Weise Aufsehen. Sein Engagement für die
vergleichende Religionswissenschaft wird von den anglikanischen Würdenträgern der
Universität mit beständigem Misstrauen verfolgt. Gelegentlich verdächtigt man ihn als AntiChrist. Ein 1860 ausgeschriebener Lehrstuhl für Sanskrit, für den er der bei weitem
kompetenteste Kandidat war, wurde ihm versagt, weil man seine liberal-lutheranische
Einstellung zur christlichen Religion nicht für angemessen hielt. Müller, der dann seit 1854 in
Oxford einen Lehrstuhl für moderne europäische Sprachen innehatte, konzentriert sich in der
Folge vor allem auf vergleichende Sprach- und Religionswissenschaft. Obwohl er zu den
besten Sanskritisten seiner Zeit gehört, lehrt er die Sanskrit-Sprache in Oxford nie. Seine
wissenschaftlichen Ergebnisse kann er außerordentlich populär präsentieren. Dennoch gilt er
dem meisten dort als Sonderling und Exot. Exotisch wirken etwa auch seine hervorragenden
Fähigkeiten als Pianist, die für einen Oxford-Professor damals alles andere als gewöhnlich
waren. Vielleicht kein Wunder, wenn Patenonkel Carl Maria von Weber sich um seine
musikalische Ausbildung gekümmert hat.


Fazit: Max Müller hat ein neues Kapitel der Ost-West-Begegnung aufgeschlagen

Friedrich Max Müller gilt als einer der Begründer der vergleichenden Religionswissenschaft.
Er war der Auffassung: Wer eine Religion kennt, kennt keine. In den alten indischen Texten
versuchte er eine Urmythologie zu finden, wie sie nach seiner Auffassung allen Religionen
zugrunde liegt. Die Gottesbilder der alten Religionen hielt Müller für Reflexe natürlicher
Phänomene. Daher waren für ihn religiöse Mythologien Verirrungen der Sprache. Namen für
natürliche Erscheinungen wurden irrtümlicher Weise in Götterbezeichnungen gewandelt.
Obwohl diese Auffassung schon zu seinen Lebzeiten widerlegt war, hielt er weiter daran fest.
Mit seiner Weigerung, nach Indien zu reisen, steht Max Müller in der Tradition
romantisierender Orientalisten, die sich ihren Eindruck der Erhabenheit der fremden Kultur
nicht durch die Realität zerstören lassen wollten. In gleichfalls romantisierender Weise hat
sich Müller in der Belletristik versucht: Sein 1859 erschienener Roman „Deutsche Liebe –
Aus den Papieren eines Fremdlings“ ist in Deutschland auf wenig Gegenliebe gestoßen. Das
Buch hat es hier nie auf die Liste der einigermaßen bekannten Literaturwerke geschafft. Auch
in Indien kennt man es kaum. Ganz anders verhält es sich im fernen Korea. Dort gehörte das
Werk über viele Jahre zur schulischen Pflichtliteratur und war für viele Koreaner die erste
Begegnung mit der deutschen Kultur überhaupt.
Max Müller stirbt am 28. Oktober 1900 in Oxford, in einem Jahr, in dem die europäische
Geistesgeschichte viele bedeutende Denker verloren hat: Friedrich Nietzsche, Wilhelm
Liebknecht oder Oscar Wilde. Auch wenn viele der Werke von Max Müller im Einzelnen
umstritten sind, hat sein Gesamtwerk einen prägenden Einfluss auf die Beziehungen zwischen
der westlichen und indischen Kultur gehabt, der im intellektuellen Leben in Indien auch heute
noch gegenwärtig ist. Es ist ein strapazierter Spruch, dass der Prophet nichts im eigenen Land,
ja nicht mal in der eigenen Stadt gilt. Auf Max Müller trifft er in jedem Falle zu. Und es ist
schon eine eigenartige Situation, wenn ein Inder einen Deutschen fragt, ob er Max Mjullerr
kennt. Einzigartig ist der Name ja hier nicht so recht, auch wenn Müller selbst, gerade wegen
der Unverwechselbarkeit, seinen Vornamen von Friedrich Maximilian auf Max geändert hat.
Meistens ist ein ungläubiges Lächeln hierzulande die Reaktion. Doch ist man bereit, sich mit
dem, was dieser Gelehrte mit dem Allerweltsnamen geschrieben hat, zu beschäftigen, kann
man an einem interessanten und folgenreichen Kapitel interkultureller Geistesgeschichte
teilnehmen, das im verträumten anhaltischen Dessau seinen Anfang genommen hat.

Gedenkseite für Max Müller vom Max Muller Bhavan, Goethe-Institut Indien

Beitrag über Max Müller in der Mitteldeutschen Zeitung, Ausgabe Dessau (hinter PayWall)