The Nile Story. Eine Endzeit-Geschichte?
Der Tourismus in Ägypten ist in einer verzweifelten Lage
Luxor ist von allen guten Göttern verlassen. Die prächtigen Kreuzfahrtschiffe stehen auf Halde und rosten vor sich hin. Sie werden von Obdachlosen bevölkert. In den Eingangshallen der lahmgelegten Schiffe scheint der Charme vergangener Zeiten noch auf. Riesige Leuchter, vergoldete Handführungen, große Treppen zum Salon künden von Zeiten, in denen die Nilkreuzfahrt ein blühendes Geschäft mit luxusverwöhnten Touristen war. Die Schiffe sind nun belagert von Desperados, die in Luxor ihr Glück suchen. Wer hier vom Tourismus lebt, ist verzweifelt. Kaum einer versteht, warum die Touristen plötzlich ausbleiben. Alles ist auf die mindestens fünffache Menge an Besuchern ausgelegt: Hotels, Restaurants, Taxis, Pferdekutschen, Kreuzschiffe, Boote, einfach alles. Und alle versuchen verzweifelt, aus den wenigen Touristen, die hier auftauchen, das Höchstmögliche herauszupressen. Mit allen Mitteln: dem Versprechen traumhafter Flussfahrten, kultureller Begleitung durch die Tempel, preiswerter Hotelzimmer, billiger Taxi-Transporte und billiger Mädchen. Ein Teil der „Touristiker“ hat seinen Stil behalten. Sie versuchen die Besucher zu mit Charme zu verführen: Freundschaft, interessante Gespräche, verlockende Ausflugsziele, interessante Bootsfahrten. Die weniger Geduldigen bieten setzen die wenigen Touristen unter Druck. Sie bieten agressiv alles an, was sie haben und wollen die Gäste zum schnellen Geschäft drängen: Pharaonen-Figuren, Skarabäusse und Papyri zu Ramschpreisen, Billig-Nilkreuzfahrten und Kurzreisen in die Umgebung sowie Königs- und Königinnengräber.
Schwer trifft die Touristenflaute auch die Kreuzfahrten. Gerade mal 15 Prozent aller Kreuzfahrtschiffe sind noch aktiv. Der Rest rostet am Flußufer des Nil vor sich hin. Den größten Teil von ihnen wird man nie wieder in Betrieb nehmen können. Der Kapitän der luxeriösen „Beau Rivage II“ schaut mich mit einem verzweifelten Lächeln an: „Das war die letzte Party auf dem Schiff. Wir haben hier noch Silvester gefeiert. Der Reeder hat beschlossen das Schiff stillzulegen.“ Nach seinem Schicksal befragt zuckt er mit den Schultern. Er wird zunächst zurück nach Kairo gehen zu seiner Familie. Dann will er sich wieder bewerben. Wer auf die Beau Rivage will, geht durch drei andere Kreuzfahrtschiffe, die bereits stillgelegt sind. Die „Nile Story“, das erste Schiff, dämmert schon lange hier vor sich hin. In prächtigen Vorsälen mit luxeriösen Leuchtern, Marmorwände, in denen die Schiffsnamen in goldener Metallschrift eingelassen sind übernachten Obdachlose. Alles ist von einer gleichmäßig dicken Staubschicht besetzt. „Ich arbeite hier in Luxor als Kellner“, erzählt Bennu. „Eine richtige Unterkunft kann ich mir dafür nicht leisten. Setz dich, lass uns eine zusammen rauchen.“ Mit den Wächtern, die hier für die Schiffe eingesetzt sind, haben sie sich geeinigt, dass sie hier nächtigen können. Auch er hat seine Familie in Kairo.
Ali hat mich lange bedrängt und jetzt bin ich doch in seine Pferdekutsche eingestiegen. Der Einfachheit halber setze ich mich zu ihm auf dem Kutschbock. Er zeigt auf seinen dürren Klepper und sagt: „Das ist Rambo!“ Nachdem ich verständnisvoll nicke, ergänzt er: „Rambo hat Hunger!“. Ägypter halten sich häufig nicht an die vereinbarten Preise und versuchen mit irgendwelchen Tricks mehr Geld herauszuschlagen. Ali wiederholt: „Rambo hat Hunger!“ Ich bleibe ungerührt: „Du hast doch jetzt jede Menge Geld!“ schlage ich vor und zeige auf die zehn Pfund (etwa ein Euro), die ich ihm bezahlt habe. „Na, das reicht für mich, aber nicht für Rambo!“ entgegnet er. „Bitte gib mir noch zehn Pfund für Rambo!“. Ich biete ihm an, eine der Futterportionen, die hier verkauft werden, für Rambo zu erwerben. Darauf lässt er sich aber nicht ein. Er will zehn Pfund für Rambo. „Wenn Rambo nichts von mir haben will, dann muss er hungern“ schließe ich die Diskussion ab. Ali versucht es mit fünf Pfund, aber wahrscheinlich liegt der Preis für die Portion Pferdefutter noch weit darunter. Ich winke ab und ignoriere das Jammern, wenn ich aussteige. Sicherlich ist die Situation der Pferdekutscher in diesem Jahr verzweifelt. Gefühlt zehn Pferdewagen kommen hier auf einen Touristen. Kaum einer nutzt sie, obwohl sie wirklich billig sind. Aber Ali hat gerade eben etwas verdient. Nicht viel und vielleicht die einzige Einnahme für den ganzen Tag.
Ich suche im Internet nach einem gut bewerteten Pub in Luxor. „The Kings Head“ scheint alle Kriterien zu erfüllen. Nicht weit von meinem Hotel, alle Gäste bisher zufrieden und moderate Preise auf der online Speisekarte. Der Kellner, der sich dann auch als Eigentümer herausstellt, Shady Gomaa, spricht ein makelloses Deutsch. Er ist in Friedrichshafen geboren und führt hier das Restaurant für seine Familie. Die Lage des Pub kann nicht günstiger sein. Es liegt genau gegenüber der Nobelhotels: Steigenberger, Gaddis, Isis, Lotus… Alle Luxusklasse mit gepflegten Pools und Terrassen zum Nil. Shady Gomaa erzählt, dass er in guten Zeiten etwa zwanzig Prozent der Gäste der Hotels abbekommt. Doch in diesem Jahr, nützet ihm dieser Anteil wenig. Ein vielsagender Blick in den leeren Gästeraum deutet darauf hin: Zwanzig Prozent von Null ist eben Null. „Schauen Sie sich um“ sagt er. „Und dies ist die Hauptsaison!“ Später kommen noch vier Gäste. Viel mehr werden es wohl über das ganze Jahr nicht werden.
Die Hotels in Luxor liefern sich einen erbitterten Preiskampf. Nirgendwo in der Welt kann man wohl derzeit günstiger in Luxushotels übernachten als in Luxor. Mit Nilblick und Poolkellner. Alle hoffen, dass es wieder aufwärts geht. Immer wieder hört man: „2015 wird ein besseres Jahr“. Auch der Tourismusminister Hisham Zaazou (inzwischen abgedankt) gibt sich optimistisch: „Wir erwarten eine Trendwende im Tourismus“. Doch um eine solche zu erreichen, sollte die Regierung unter as-Sisi ihre Kommunikationspolitik nochmal überdenken. Wenn sie der Frau von George Clooney, Amal Clooney, die in Kairo einen verhafteten Journalisten verteidigt, mit Gefängnis droht, fühlen sich auch viele Reisewillige nicht mehr eingeladen. Allein dieses Statement dürfte dem Land Hunderttausende an Touristen gekostet haben. Die Einheimischen wiederholen geradezu betmühlenhaft: „Ägypten ist ein sicheres Land“. Allerdings stellt sich das Sicherheitsgefühl nicht so einfach ein: An vielen Straßenecken und auf Bahnhöfen steht bewaffnetes Militär. Vor dem Ägyptischen Museum in Kairo steht eine Reihe von Panzern, die Besatzung in Bereitschaft. Kein sehr entspanntes Bild. Hinzu kommt, dass die deutsche Presse mit Hiobs-Botschaften die Sicherheitssituation überzeichnet. Eine Einladung ist es eben nicht, wenn etwa die Zeit titelt: „Terroristen zielen auf Ägyptens Touristen“. Fast alle Nachrichten deutscher Median zeichnen ein ähnliches Bild. Angesichts dessen stellt sich die Frage, ob es wirklich einen Aufschwung geben kann. Unter vielen Touristikern in Ägypten hat sich eine Endzeit-Stimmung breitgemacht. Langfristig wird sich die Branche sicherlich erholen, dazu sind die Kulturdenkmäler einfach zu wichtig. Doch die Schlüsselfrage, die alle hier beschäftigt ist: Was heißt langfristig?
Für diejenigen, die in solchen Krisensituationen eher Chancen sehen, ist die Situation günstig: Noch nie waren in Ägypten die islamischen Fundamentalisten so unpopulär wie jetzt. Keiner will Mursi und die Muslim-Brüder zurück. Und: Noch nie war die Reise zu Geschichtsdenkmälern, die zu den bedeutendsten der Menschheit gehören, so preiswert. Und jetzt hat man sie manchmal sogar ganz allein für sich.